Haushaltsgeräte: Barrierefreiheit verbesserungswürdig!

30. Januar 2023

Moderne Gerätesteuerung geht oft auf Kosten der Barrierefreiheit. Expert*innen der FH Technikum Wien forschen, unterstützen und kämpfen für Bewusstsein.

Beim Kauf von neuen Haushaltsgeräten wird die Entscheidung für ein Gerät nicht selten von oberflächlichen Kriterien beeinflusst: eine Kaffeemaschine mit Farb-Display und Touch-Bedienung wirkt eben deutlich moderner als eine mit mechanischen Drehreglern. Der Fokus auf ein futuristisch wirkendes Design bringt Herstellerfirmen jedoch dazu, kaum noch mechanische Interaktionselemente zu verwenden – und auch sonst werden Abstriche bei der Barrierefreiheit gemacht. Dabei wäre haptisches und akustisches Feedback nicht nur für Menschen mit Behinderung wichtig, es erleichtert die Verwendung von Geräten für alle Personen und trägt zu einer positiven User-Experience bei.

Manche Geräte sind zwar noch mit Dreh- oder Kippschaltern ausgestattet, barrierefrei sind sie aber meist trotzdem nicht, weil zum Beispiel fühlbare Markierungen und ein zugehöriger fixer Nullpunkt fehlen, oder die Auswahl von Optionen komplex und wenig intuitiv ist. In den letzten 10 bis 15 Jahren wurde die Bedienbarkeit von Haushaltsgeräten für Menschen mit Behinderung stetig schwieriger, eine Verwendung handelsüblicher Kochfelder ist für blinde Menschen derzeit kaum noch möglich.

„Neue Produkte werden oft für billige Massenproduktion entwickelt“

Eigentlich paradox, findet Christoph Veigl, der an der FH Technikum Wien Projekte zur Entwicklung von Assistiven Technologien leitet: „Es sollte das Ziel moderner Technologien sein, durch Inklusives Design möglichst viele Personen zu unterstützen. Kurzsichtige Kriterien einer billigen Massenproduktion widersprechen aber sowohl den Richtlinen des Universal Design als auch den Grundsätzen von Reparierbarkeit und Nachhaltigkeit.“

An der FH Technikum Wien beschäftigen sich Forscher*innen am Department für Electronic Engineering bereits seit 2010 mit Assistiven Technologien, aktuell im Rahmen der Projekte „Wissensdrehscheibe für Barrierefreie Technologien“ und „Inclusion International“, beide gefördert von der Stadt Wien (MA23). Die Wissensdrehscheibe versteht sich als Vermittlerin zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Pflegedienstleisterinnen und Anwender*innen („Need-Knowers“). Dabei werden auch Kleinprojekte unterstützt, wie etwa die Umsetzung von barrierefreien Webseiten oder die Entwicklung individueller Eingabesysteme für den Computerzugang.

Checkliste zur Bewertung der Barrierefreiheit von Haushaltsgeräten

Auf der Webseite wbt.wien werden Erfahrung und Know-how aus vergangenen Forschungsprojekten zur Verfügung gestellt. In einem Forumsbereich werden auch organisatorische Fragen beantwortet, etwa „Wie werden Menschen mit Behinderung finanziell unterstützt?“ oder „Was ist der Unterschied zwischen barrierefrei und behindertengerecht?“
Mit der Checkliste für die Bewertung der Barrierefreiheit von Haushaltsgeräten bietet die Seite eine ganz besondere Funktion, die Leute dazu motivieren soll, ihre Alltagsgeräte selbst zu testen und Erfahrungsberichte mit anderen zu teilen.

Ist die Anzeige gut lesbar? Ist eine Sprachausgabe oder gar ein Sprachassistent verfügbar? Hat das Gerät einen Drehregler? Kann man einen fixen Nullpunkt haptisch erfühlen? Die daraus resultierenden Sterne-Bewertungen können als Entscheidungshilfe beim Kauf genutzt werden. „Unser Ziel ist es, dass Plattformen wie Geizhals.at derartige Bewertungen hinzufügen, und dass Hersteller Informationen zur Barrierefreiheit ihrer Geräte bereitstellen“, so Christoph Veigl.

Neuentwicklungen und Workshops

Im Rahmen der Wissensdrehscheibe für Barrierefreie Technologien werden nicht nur Beratungen zu technischen Fragen und Assistierenden Technologien angeboten, sondern es können auch komplett neue technische Lösungen entwickelt werden. Dies kann ein Prototyp sein, aber auch ein bereits fertig entwickeltes, konkret einsetzbares System. In den 3 Jahren des Bestehens der Wissensdrehscheibe wurden bereits mehrere solche Neuentwicklungen umgesetzt. Die Entwicklung des sogenannten „FlipPad“ – eines neuartigen Touchpads für ein Jugendlichen mit Muskelatrophie – wurde bei der internationalen Tom Global Innovation Challenge 2022 mit dem Hauptpreis prämiert. Weiters wurden 15 Workshops für Hilfsorganisationen sowie andere FH-Träger abgehalten (u.a. FH Campus Wien, FH Joanneum Graz, FH Kärnten, Ergotherapie Austria).

Kooperation mit Blindenverbänden und Herstellern

Gemeinsam mit dem Österreichischen Blindenverband (ÖBSV) und den Vertreterinnen der Initiative „Home Designed For All“ besprachen Verantwortliche der FH Technikum die Situation der mangelnden Barrierefreiheit. Daraufhin kam es zu einer Kooperation, deren Ziel es ist, die Barrierefreieheit von Hausgeräten in Zusammenarbeit mit großen Herstellerfirmen zu forcieren. Im Mai 2022 wurde ein Treffen zwischen der BSH Hausgeräte Gruppe (u.a. Bosch, Siemens, Neff) und Blindenverbänden aus Österreich, Deutschland und Schweiz an der FH Technikum Wien organisiert, bei dem konkrete Verbesserungen der Barrierefreiheit der Home Connect App für Hausgeräte geplant und beschlossen wurden, die in der aktuellen Version der App bereits umgesetzt wurden und nun allen Anwender*innen zugute kommen.

Das „Universal Access Panel“ – ein Prototyp zur Steuerung von Haushaltsgeräten

Aus der 2020 gestarteten Kooperation mit dem ÖBSV entstand auch ein Prototyp einer barrierefreien Bedienkonsole für Smart Homes und Haushaltsgeräte, das Universal Access Panel. Zunächst wurden die Designkriterien in mehreren Treffen mit Expert*innen des ÖBSV festgelegt. Anschließend wurde definiert, wie das Vorhaben technisch umgesetzt werden könnte. Herausgekommen ist ein multimodales Bedienkonzept mit haptischen, optischen und akustischen Interaktionselementen. Damit können verschiedenste Geräte mit einer kompakten, barrierefreien Fernsteuerung genutzt werden. Diese Ergebnisse wurden im Juli 2022 bei der ICCHP Konferenz in Lecco präsentiert und als Open Access Paper publiziert.

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Bild oben: Universal Access Panel – ein Interaktionskonzept für barrierefreie Smart Home Steuerung.